Karen arbeitet vormittags in der Bank. Sie hat Freude an dem, was sie tut. Sie genießt es und das strahlt sie auch aus. Nachmittags ist sie Mutter und Hausfrau. Da fühlt sie sich zwanzig Jahre älter. Sie versinkt im Haushalt, der ihr über den Kopf wächst, weil sie hohe Ansprüche hat. Und wenn ihr Mann abends nach Hause kommt, dann fühlt sie sich vollends als Versagerin. Sie ist keine interessante Gesprächspartnerin mehr sondern nur noch müde. Sie hat keine Lust mehr zu diskutieren. Sondern nimmt hin, was er sagt. Auch wenn es ihre vitalen Interessen betrifft. - Zum Beispiel, dass sie gerne ein Au Pair hätte. Gottseidank ist morgen wieder Montag ...
Die Position im System bestimmt, wie du dich fühlst
Tja, die Geschichte zeigt, wie Systemisches Denken und wie systemische Therapie funkioniert: ein Mensch kann ein ganz anderer sein, wenn er in einem anderen System steht. Positionen in einem Systemen verändern viel. Stellen wir uns vor, Karens Mann würde arbeitslos und sie würde ihre Stunden aufstocken. So dass sie erst abends nach Hause käme....
Könnt ihr das beim Lesen nachvollziehen? Auch das ist systemisch. Wenn jemand von uns in eine dieser Positionen kommt, dann fühlt er erst mal genau so wie Karen. Und das ist einer der Schlüssel zu den systemischen Vorgehensweisen: wir fragen: was wäre, wenn? Wie würde es sich anfühlen, wenn? Wie würde P. reagieren, was würde L. denken? Viel verändert sich dadurch. Weil sich Horizonte weiten. Weil neue Möglichkeiten auftauchen. Weil Beziehungen in Bewegung geraten. Starres sich auflöst.
Uuund das soll helfen? Ja. Das tut es. Lange haben sich die Krankenkassen geweigert für systemische Beratung zu bezahlen, weil sie der Meinung waren, das wirke nicht. Teure Studien wurden in Auftrag geben. Vermutlich schon mit dem Hintergedanken es würde sowieso bewiesen, dass dabei nichts heraus kommt. Das Gegenteil war der Fall. Und deshalb müsste eigentlich das Jahr 2018 als das Jahr der Systemiker in die Geschichte eingehen.
Und die kassenärztliche Vereinigung hat dementsprechend zugestimmt, die systemische Therapie in ihren Maßnahmenkatalog aufzunehmen. Na endlich!, könnten wir sagen. Wussten wir doch schon immer. Und: ist gekommen, wie es kommen musste.
Die systemische Therapie passt nicht in die Krankenkasse
Aber der Jubel ist verhalten. Wird doch jetzt, wo es um die Details der Vergütung und Abrechnung gehen soll - (das heißt im Moment ist die systemische Therapie noch keine Kassenleistung). - da kommen bei vielen praktizierenden Systemikern Zweifel auf. Die Unterschiede zu den herkömmlichen Methoden sind groß - und es fragt sich, wie systemische Therapie überhaupt ins System zu packen sein soll.
Warum ist das so kompliziert? Gerade die Eigenart und die besondere Qualität der systemischen Therapie zeigen, dass sie von ihrem Ansatz her mit dem medizinischen Ansatz quer liegt und liegen muss. In der Medizin ist es ja so, dass eine Krankheit eine Ursache hat: etwa ein Bakterium oder ein Virus oder ein Tumor, oder ein Beinbruch... egal. Diese Ursache wird behoben - und alles ist wieder fein in Ordnung. - Ähnlich denkt ja im Prinzip auch die Psychoanalyse und sogar die Verhaltenstherapie: In der Kindheit ist etwas schief gelaufen: wir suchen dieses Ereignis auf - und korrigieren es. Fertig.
Psychische Krankheiten?
Bloß dass diese Analogie hinkt. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Schlechte Erfahrung bleibt schlechte Erfahrung. Eine psychische Krankheit ähnelt weder einem Virusbefall noch einem Bruch. Daher hat leider die gesamte Psychotherapie nur sehr geringe Heilungsquoten. - Und hier kommt das Besondere der Systemischen Denkens ins Spiel. Strikt systemisch gedacht gibt es keine Psychischen "Krankheiten". (Außer vielleicht Schizophrenie und Psychosen.) - Unser großes Argument gegen die Krankheitsmetapher ist, dass alle, denen gesagt wird: du bist ja (psychisch) krank, du brauchst dringend eine Therapie - auch gute Phasen kennen. Von einer Minute zur anderen kann sich viel ändern. Von einem Tag auf den anderen. Von einem (Denk)System ins andere eben. Medizin aber, ebenso wie die die medizinisch denkende Psychotherapie sieht auf die "Symptome" - auf das, was nicht funktioniert.
Strikt systemisch arbeitende Therapeuten sind daher keine Therapeuten im klassischen Sinne, weil sie keine klassichen "Diagnosen" stellen und es daher nichts zu therapieren gibt. In den Augen des Systemikers ist es eher schädlich eine Diagnose zu stellen, weil der durch die Diagnose zum Patient gewordene Mensch - dadurch in ein System gerät in dem er der Kranke ist und der andere der Heilende. Das macht ihn krank. Solange er in dem System ist, bleibt er krank. Nun kann aber eine "Kranken"kasse schlecht ohne Diagnose zahlen ...
Ihr seht warum das schief läuft.
Skalierung anstelle von Entweder/Oder
Ein anderer Punkt der nicht passt ist, dass die klassische systemische Beratung schon von Anfang an im Blick hat, dass der oder die Behandelnde und der Klient (hier heißt er schon mal nicht Patient) ein eigenes System bilden. Daher sitzen in klassischen Settings ein bis zwei andere dabei oder hinter einem Spiegel sehen zu, beobachten und kommentieren. Systemiker kommen daher gerne in Teams daher. Sie ziehen gerne andere zu Rate. Sie beobachten und achten auf feine Veränderungen. Daher arbeiten sie gerne mit Skalierung. Auf einer Skala von 1 bis 10, wie krank sind Sie heute? - Damit kann die Krankenkasse, die gerne mit hundert Prozent kranken und am Ende hundert Prozent Gesunden arbeitet nicht so viel anfangen.
Familientherapie, Paartherapie zahlt sie schon mal gar nicht. Da wird wohl auch vorerst keine Wirksamkeitsstudie helfen.
Ansonsten möchte ich aber allen, die darauf hoffen von der Systemischen Beratung Hilfe zu bekommen und trotzdem von der Krankenkasse unterstützt zu werden nicht den Mut nehmen. Das wird gehen. Jeder wird seine Abstriche zu machen haben. Es wird Systemiker geben, die das nicht mitmachen. Und es wird welche geben, die das schon zum Wohle ihrer Patienten/Klienten und ja, manche sagen einfach Kunden - mitmachen. Es wird sich zeigen, ob das funktioniert.
Wenn ich aber dabei bleibe nicht über die Kasse abzurechnen, so hat das für alle, die zu mir kommen einen großen Vorteil: die "Heilung" geht wesentlich schneller. Die Kasse zahlt von vorne herein vierzehn Sitzungen. Solange ist noch niemals jemand zu mir gekommen. Selten brauchen wir für ein Problem mehr als fünf Sitzungen. Manchmal taucht natürlich noch ein weiteres auf. Aber selbst damit sind wir schneller.
Nun gut. das war nur ein kurzer Einblick in das systemische Denken und arbeiten. Wenn es euch interessiert, hinterlasst mir ein Like und vielleicht einen Kommentar, gerne mit Fragen oder mit Hinweisen, worüber ihr mehr wissen wollt. Aber ich merke schon, ich habe Lust dazu.
Systemisch arbeiten heißt auch immer sich weiter zu bilden - etwas zu lernen über alle Systeme, in denen wir drin stecken. Das ist das unglaublich spannende daran.
Und noch was: Über Familien- oder Strukturaufstellungen hab ich noch gar nichts geschrieben. Interessiert euch das?
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