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Wie geht es dir bei dem Gedanken an ein großes Familientreffen? Stell dir vor, alle könnten kommen. Kusinen, Nichten, Geschwister, Oma und Opa, Onkel und Tanten. Es würde richtig groß. Und? Reine Freude? Oder auch ein bisschen mulmig?
Und wenn du dieses Bild ansiehst? Kannst du dir vorstellen, wie sich das Mädchen rechts außen fühlt? Oder der kleine Junge in der Mitte?
Der nächste Aufstellungstag wird vermutlich noch vor den Sommerferien stattfinden. Wenn du dabei sein möchtest, setz dich unverbindlich auf die Warteliste und ich informiere dich rechtzeitig. (Du kannst dann immer noch entscheiden, ob der Termin tatsächlich passt und du dabei sein möchtest).
Was findest du in diesem Blogartikel?
Was sind Familienaufstellungen?
Familie ist so eine Sache. Man wird sie halt nicht los. Sie hat dich geprägt. Sie gibt Halt und Sicherheit. Aber gleichzeitig kann sie auch die Hölle sein. Gerade weil es so schwer ist loszukommen. Irgendwie kannst du reisen so weit du willst, du kannst den Kontakt abbrechen oder so selten wie möglich kommunizieren: trotzdem ist sie immer präsent.
Kennst du das? Du hast zum tausendsten Mal zu ihm gesagt, er soll seine Tasse nicht auf dem Rand der Spülmaschine abstellen sondern einfach einräumen. Und er macht es einfach nicht. Du fühlst dich hilflos. Machtlos. Und wirst lauter. Irgendwie muss er doch zur Einsicht kommen! Und dann wird er laut und du wirst lauter, weil du dich im Recht fühlst. Und auf einmal sagst du Sachen, die du so nie sagen wolltest. Aber was das Schlimmste ist: in dem Moment meinst du es. Und du befürchtest, er meint es auch, was er sagt. Mit niemandem würdet ihr so reden. Mit Kollegen nicht. Mit Freunden nicht. Mit Fremden nicht. Nur mit den "Liebsten". Und wo hast du das gelernt? Vermutlich in deiner "Herkunftsfamilie". Zu Hause. Bei deinen Eltern, mit deinen Geschwistern. Mit deinen Onkeln und Tanten. Vielleicht haben deine Eltern so mit dir gesprochen, wenn sie sauer waren. Wenn du etwas einfach nicht wolltest. Sie dich zu etwas zwingen wollten und du deine Macht gespürt hast, indem du es einfach nicht gemacht hast.
Deine Ursprungsfamilie, ihr Tonfall, ihr Klima, die Art, wie da Liebe gelebt und ausgedrückt wurde, das hat dich so geprägt, dass es immer wieder zum Vorschein kommt. Auch wenn du es nicht willst. Gerade in Stressmomenten, wenn du wirklich emotional tief verletzt bist. Aber auch wenn das gerade nicht so ist. Sie ist immer gegenwärtig. Manchmal im positiven Sinne. Oft aber auch sehr einschränkend, limitierend und hemmend.
Familienaufstellungen sind eine Art diese Prägungen durch Konstellationen innerhalb der Familie sichtbar zu machen.
Wie macht man eine Familienaufstellung?
Für die klassische Familienaufstellung braucht man erst mal eine Menge Leute. Dann braucht man eine Person, die ein Problem oder eine Frage hat, die sie durch eine Aufstellung lösen möchte. Die anderen, sind die "Stellvertreter". Dann sucht sich die Person, die ihr Problem oder ihre Frage lösen möchte, aus der Reihe der Stellvertreter jemanden als Stellvertreter für sich selbst, für ihre Partner/in für ihre Mutter, ihren Vater, ihre Geschwister, ihre Kinder und für alle, die eventuell eine Rolle für ihre Fragestellung spielen, aus. Die stellt sie dann im Raum so auf, wie es sich für sie gerade gut anfühlt. Dabei fasst sie die Stellvertreter an den Schultern und führt sie durch den Raum, bis sie das Gefühl hat, es sei hier gut und richtig. Manche stehen dann dicht beieinander, andere weiter weg. Manche schauen sich an, andere drehen der Gruppe den Rücken zu. Das muss nicht erklärt oder begründet werden. Es wird auch nicht in Frage gestellt.
Wenn alle auf den ersten Blick relevanten Personen einen Stellvertreter gefunden haben, der im Raum steht, dann zieht sich die aufstellende Person zurück und beobachtet. Nun kommt der Aufsteller, eine Therapeut:In oder ein Berater:In ins Spiel. Sie oder er fragt der Reihe nach alle aufgestellten Personen, wie es ihnen zunächst rein körperlich an der Stelle, an der sie nun stehen, geht. Und dann beginnt die Magie: Ungläubig staunend erleben Menschen bei ihrer ersten Aufstelllung, dass ihr Stellvertreter, ihre Stellvertreterin sich genauso fühlt, wie sie selbst. Schwer, unbeweglich oder gefangen, sind Ausdrücke, die oft fallen. Aber auch "völlig allein gelassen", "belastet" oder "verloren". Häufig haben die Stellverter:Innen sogar körperliche Symptome, die mit denen der aufstellenden Personen exakt übereinstimmen. Sie klagen plötzlich über Rückenschmerzen, manche fallen in sich zusammen, wirken klein, gedrückt oder haben Kopfschmerzen.
Dann beginnt die Arbeit der Therapeut:In. Sie verschiebt, dreht, rückt auseinander. Wenn jemand sagt, "die sitzt mir so dicht im Nacken, ich bekomme kaum Luft", dann bewegt sie die Person weiter weg, dreht sie vielleicht zueinander. Und fragt dann erneut, ob es so besser ist. Manche Personen wollen näher bei anderen stehen, wollen sich sehen oder spüren. Liebevolle Blicke werden ausgetauscht. Häufig fehlt jemand, der übersehen oder vergessen wurde. Das können Personen sein, über die in der Familie nicht gesprochen wird, das können zu früh geborene Kinder sein, oder Familienmitglieder, die schon tot sind. Manchmal sind es frühere Partner oder Kinder aus früheren Beziehungen, die keinen Kontakt mehr haben. Immer wird auf Vermutungen (Hypothesen) reagiert und gefragt, wie es allen damit geht. Was sich verändert hat. So lange, bis alle zufrieden sind. Bis ein harmonisches Gleichgewicht hergestellt ist. Dann kann sich die aufstellende Person an die Stelle ihres eigenen Stellvertreters stellen. Und erleben, was er oder sie gerade erlebt: wie es sich anfühlt, wenn der Konflikt gelöst ist.
Wie lange das dauert? Nun, je nach Komplexität rechne ich mit etwas zwei Stunden für eine Aufstellung. Manche dauern auch länger. Das heißt auch, wenn wir uns für einen Aufstellungstag treffen, das höchsten drei bis vier Aufstellungen an einem Tag gemacht werden können. Mehr ist auch emotional nicht zu verkraften. Die meisten Teilnehmer:Innen sind also als Stellvertreter da und beschäftigen sich gar nicht mit ihrer eigenen Familie. Warum sie das machen? Ein sehr treuer "Stellvertreter", der auch Jahre nach seiner eigenen Aufstellung immer regelmäßig an Aufstellungstagen teilgenommen hat, obwohl es nicht um ihn persönlich ging, hat mir gesagt:
"Ich genieße es, diese intensiven und klaren Gefühle zu erleben. Liebe, Abscheu, Sehnsucht. Ich fühle mich danach immer sehr lebendig und wach und bin mir selbst ganz nah."
Das Ergebnis einer Familienaufstellung
Die aufstellende Person kann dann mit den Stellvertreter:Innen ihrer Familie Blickkontakt aufnehmen, sie in den Arm nehmen, ihnen etwas sagen. Das sind in der Regel sehr emotionale bis hinzu überwältigende Momente. Oft fließen Tränen. Oft wird gelacht und umarmt. Freude, Entspannung, Befreiung liegt im Raum. Eine Familienaufstellung zeigt auf, wie sich eine Lösung anfühlt. Für alle Beteiligten. Es werden Emotionen freigesetzt, von denen niemand etwas geahnt hatte. Die lange verschüttet und verborgen waren.
Ändert das etwas an den "wirklichen" Beziehungen zu den Menschen, die ja nur durch ihre Stellvertreter anwesend waren und die selbst vielleicht gar nicht wissen, dass sie in Form von Stellvertretern an einer Familienaufstellung teilgenommen haben? Ja. Ja. Und ja. Das kann man einfach nicht anders sagen. Die Aufsteller:in verändert sich selbst sehr tief durch die Aufstellung. Es wird etwas in ihr berührt, bewegt und befreit, das dazu führt, dass sie alle in der Aufstellung beteiligten Personen anders begegnen wird. Aufstellungen sind in der Regel sehr nachhaltig und wirken sehr tief verändernd im guten Sinne.
Manchmal, wenn es um die Aufstellung von Paarproblemen geht, wird auch sehr deutlich, dass ein Paar nicht mehr zusammen sein möchte und längst innerlich andere Wege geht. Manchmal wird deutlich, dass es unter allen Streitereien ein Band gibt, das trägt. Das verschüttet ist unter dem Streit über Alltägliches. Auf jeden Fall sind die Emotionen in der Regel sehr deutlich. Und oft auch ihr Ursprung. Ein Beispiel?
Katrin und Philipp hatten eine Aufstellung gemacht, weil Katrin immer sehr wütend wurde, wenn Philipp Unordnung in der Küche hinterließ. Eigentlich war sie eher unordentlicher und schon deshalb recht nachsichtig mit ihm. Nur so ein paar Dinge, die ließen sie sofort an die Decke gehen. Und das mit einer Kraft und Schnelligkeit, dass sie sich nicht bremsen konnte. Es waren so Momente, für die sie sich hinterher sogar schämte, denn sie fand das selbst etwas unangemessen.
In der Aufstellung zeigte sich eine enge Verbindung zwischen Katrin und ihrer Großmutter. Die war im Krieg mit ihren beiden Söhnen auf einem Bauernhof untergebracht, weil ihre Heimatstadt evakuiert war. Dort infizierten sich alle drei mit Tuberkulose. Und die Großmutter machte sich ihr Leben lang Vorwürfe, dass es daran gelegen haben könnte, dass sie die Küche nicht ordentlich sauber gehalten hatte. Alles Reden und Erklären half nichts, sie fühlte sich schuldig und war von da an extrem penibel, was alles in der Küche anging. Katrin war als Kind in den Ferien oft bei ihrer Oma gewesen und hatte sie sehr geliebt, denn sie war sehr liebevoll und kuschelig. Katrin war für ihre Oma wie die Tochter, die sie selbst nicht hatte und bezeichnete sie oft als ihre Erbin. Sie schenkte ihr ihren Schmuck und andere ausgewählte Dinge. In der Aufstellung kam heraus, dass sie ihr dabei auch die Sorge für eine penibel saubere Küche vererbt hat. Zusammen mit der Überzeugung, dass nur diese Form von Hygiene das Wohlergehen der Familie sichern könnte.
Das alles war nicht ausgesprochen. Aber die Stellvertreterin von Katrin fühlte es sofort. Die Küche durfte nur in Hände, die dieses Erbe würdigen könnten. Alles andere wäre Verrat an der geliebten Oma. Im Rahmen der Aufstellung konnte Katrin (bzw. ihre Stellvertreterin) der Oma erklären, dass sie auch ohne diese extreme Sauberkeit in der Küche immer in Liebe an sie denken würde und sich voller Dankbarkeit an all die Wärme, Herzlichkeit und Lebensfreude ihrer Oma erinnern würde. Nur die Sache mit der Küche, die würde sie einfach selbst entscheiden. Und damit war die Oma einverstanden. Katrin und Phil gingen an diesem Abend lachend nach Hause und sagten, sie würden heute Abend mit einer unaufgeräumten Küche schlafen gehen und damit die neu gewonnene Freiheit feiern! Sie waren sicher, das würde nicht die neue Normalität werden. Aber das alte "Normal" wollten sie auch auf keinen Fall wieder haben.
Wie funktionieren Familienaufstellungen?
Eine große Frage, die soweit ich weiß, wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt ist, ist die warum und wie genau Familienaufstellungen so gut funktionieren. Menschen die eher spirituell veranlagt sind, könnten denken, es sei ein Herbei-Zitieren, von entfernten oder verstorbenen Personen. Ich glaube das nicht. Und die meisten, die ich kenne und die damit arbeiten auch nicht.
Was wir wissen ist, dass alles, was das Gehirn erfasst und versteht, räumlich repräsentiert ist. Angst zum Beispiel ist in den meisten Fällen vor uns. Genauso wie Zukunft. (Es soll allerdings auch Völker geben, die die Zukunft im Rücken wahrnehmen. In unserem Kulturkreis ist mir so etwas nicht bekannt.) Deshalb sagen wir: es geht voran. Oder auch, "das liegt Gottseidank hinter mir". Außerdem scheinen wir, was die räumliche Anordnung von Menschen zu uns selbst angeht, alle sehr ähnlich gestrickt zu sein. In den Blick genommen zu werden, womöglich noch von zwei Seiten, von Menschen, die recht "nahe stehen", fühlt sich für die meisten eher bedrohlich und einengend an. Wenn alle einem den Rücken zudrehen oder man ganz am Rande einer Gruppe steht, die sich alle ansehen - nur man selbst wird nicht gesehen, das löst bei vielen Angst aus, manchmal Sehnsucht oder Trauer. Und manchmal Freude. Kleinste Details der Geschichte spielen oft eine große Rolle. Und wenn es tatsächlich Freude auslöst am Rand und unbeachtet von einer Gruppe von Menschen zu stehen, dann ist oft jemand vergessen worden in der Aufstellung, zu dem es den Menschen am Rande hinzieht.
Das geht so weit, dass Aufstellungen auch mit Figuren als Stellvertretern ganz gut funktionieren.
Wieso kann man auch Ängste, Ziele oder unbekannte Hindernisse aufstellen?
Tja, auch hier kann ich nur eines sagen: erstens es funktioniert offenbar - das zeigt die Erfahrung. Und zweitens es muss damit zusammen hängen, dass unser Gehirn eben immer alles räumlich repräsentiert. Das machen wir uns in den Systemischen Strukturaufstellungen, die Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer im Syst Institut in München entwickelt haben, zunutze.
Hier gibt es eine ganze Reihe von Formaten, die alle einen eigenen Blogartikel verdienen und von denen einige ihn auch bald bekommen werden (Promise!). Insbesondere spannend im Familien- und Paarkontext finde ich die Glaubenspolaritätenaufstellung. Ich setze sie ein um mit Glaubenssätzen zu arbeiten. Glaubenssätze, das sind häufig auch solche ererbten Dinge wie: "Du bist nichts wert", "Du schaffst das sowieso nicht", "Du solltest kleine Brötchen backen", aber auch "Du musst immer stark sein, sonst bricht alles zusammen", "Du darfst nicht an dich denken." Die meisten von uns kennen solche Glaubenssätze. Allerdings sind sie meist
Woher kommt die Familienaufstellung
Wie so häufig ist die genaue Wurzel der Familienaufstellungen nicht ganz klar. Erste Aufstellungen hat unter diesem Namen Bert Hellinger gemacht, der für viele als der "Vater der Familienaufstellung" gilt. Gleichzeitig hat Virginia Satir mit ähnlichen Methoden gearbeitet. Sie war definitiv eine der bedeutendsten Familientherapeutinnen. Sie hat die mit "Familienskulpturen" gearbeitet, die im Prinzip ähnlich funktionieren wie die Aufstellungen. Hellinger wird heute von vielen abgelehnt, weil er eine soziale Rangordnung, die allgemein menschlich und universal gültig sein sollte, annahm. Aber über diese Dinge gibt es gute Wikipedia Einträge und jede Menge Literatur.
Das Familienstellen ist auf jeden Fall eine eher neue Methode und sowie die Familientherapie selbst eine recht junge Disziplin. Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wird sie praktiziert. In Deutschland ist Helm Stierlin in Heidelberg der erste gewesen, der Therapeut:Innen wie Virginia Satir oder auch Milton Erickson eingeladen und hier bekannt gemacht hat.
Ich selbst habe die Grundlagen bei Matthias Varga von Kibéd in München gelernt und einige Zusatzausbildungen bei Gunther Schmidt am Milton-Erickson-Institut in Heidelberg genossen. Mich fasziniert diese Methode, weil ich ihre Wirksamkeit immer wieder spüre und erlebe. Ein großer Vorteil ist in meinen Augen ihre Nachhaltigkeit: dadurch dass intensive Gefühle im Spiel sind, denken die Beteiligten oft noch Wochen nach der eigentlich Aufstellung daran und es erfordert keine große gedankliche Anstrengung sich bestimmte Ergebnisse ins Gedächtnis zu rufen. Die Gefühle sind eben viel schneller und viel eindrücklicher am Werk als jegliches Sprechen, Denken und Reflektieren. Das kann im Nachhinein noch ein i-Tüpfelchen bilden - damit man auch versteht, was da - oft seit Jahren passiert ist - aber es ist nicht notwendig für einen Heilungsprozess.
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