... um es selbstbewusst und stark zu machen?
Neulich in der Eltern-Kind-Gruppe: Julia, 3, kommt mit ihrer Mama nach der Kita. In einer Ecke ist ein Tisch mit Stühlen für die Mamas und Papas aufgebaut. Kaffee, Tee und Kekse warten. Auf der anderen Seite sind Matten auf dem Boden mit Bällen und Spielkram für die Kinder. Auf dem Kindertisch liegen Wachsmalkreiden und Papier. Sandra, unsere Kinderbetreuung sitzt da schon mit Lia und Fritz. Julia geht mit Lia in die Kita. Sie kennen sich. Und Julia setzt sich dazu. Aber sie hat keine Lust zu malen. Aber auch keine Lust irgendwas alleine oder mit anderen zu machen. So sieht es jedenfalls aus. Lustlos schnappt sie sich die Stifte auf dem Tisch und krakelt, teilweise ohne richtig hinzuschauen auf dem Papier rum. Als Fritz anfängt mit dem Stift Punkte zu klopfen, macht sie es ihm nach. Sandra merkt, dass die Stimmung gleich umschlägt und macht den Vorschlag mit den Matrazen einen Höhle zu bauen. Die drei sind dabei! Aber vorher bringen sie schnell ihre bemalten Blätter zu den Mamas. Julias Mama ist begeistert: "Das hast du aber toll gemacht! Super. Die bist eine echt tolle Malerin. Ich bin ganz stolz auf dich", sagt sie. Dann legt sie das Blatt beiseite, ohne weiter drauf zu schauen.
Warum macht Julias Mama das? Sie findet es wirklich toll, dass ihre Tochter malt. Vor allem weil sie es alleine und für sich macht. Kreativität ist eine gute Sache. Davon sollte Julia ruhig mehr machen. Deshalb lobt sie Julia immer, wenn sie malt, egal was es ist. Zuviel nachfragen könnte ihre Tochter eher irritieren, glaubt sie. Und am Ende beginnt sie noch an sich zu zweifeln und hört auf damit. Deshalb: loben, loben, loben. Denn davon will Julia sicher immer mehr und dann malt sie mehr und wird selbstbewusster. Ich habe mit den Müttern am Tisch über das Loben gesprochen. Und sie waren einhellig dieser Meinung. Auch hörte ich: "Ich bin als Kind nie gelobt worden", oder "Was ich gemacht habe, war nie gut genug", und "Ich hätte mich so gefreut mal richtig gelobt zu werden!", deshalb loben sie nun ihre Kinder. Kann man auch auch verstehen. Es ist wie häufig: wir geben unseren Kindern das, wonach wir selbst uns gesehnt haben.
Aber da steckt ein kleiner Denkfehler drin. Zwei Dinge werden miteinander auf leider ungute Weise verknüpft: die Sehnsucht danach, bedingungslos geliebt zu werden und der Wunsch Anerkennung für eine Anstrengung zu bekommen. Die Sehnsucht einfach gut genug zu sein, so wie man ist und der Wunsch mit seinen Eigenarten gesehen zu werden. Beides ist nicht dasselbe. Dass sie oft zusammen gedacht und sogar verwechselt werden, hat mit einer ganz üblen Sache zu tun: Manipulation.
Und tatsächlich wird Erziehung oft mit Manipulation verwechselt. Sorry. Muss hier mal gesagt werden: Wenn du versuchst, dein Kind dazu zu bekommen mehr von etwas zu tun, du das aber nicht einfach sagst, sondern lobst, damit es mehr davon macht, dann ist das manipulatives Verhalten. Du lobst nämlich in dem Fall gar nicht, weil du es toll findest, was dein Kind gemalt hat, sondern du lobst um ein bestimmtes Verhalten hervorzurufen.
Wenn Julias Mama sagt: Toll gemalt. Super schönes Bild, ohne eigentlich genau hinzuschauen inwiefern das Bild jetzt überhaupt besser ist als ein anderes, dann ist das offensichtlich so, dass sie das Bild gar nicht toll finden kann. Sie kennt es ja nicht einmal wirklich. Sie hat auch nicht nachgefragt, ob Julia selbst zufrieden ist mit dem Bild. Ob sie etwas darstellen wollte, oder etwas ausdrücken wollte und nun vielleicht sehen möchte, ob Mama das erkennt. Und was Julia schnell versteht: eigentlich sind die Bilder nicht interessant für Mama. Aber man wird für Malen gelobt. Vielleicht ist es sogar so, dass wenn Julia nicht einfach vor sich hinkritzelt sondern versucht ein Haus oder ein Tier zu malen, Mama eher sagt: das Dach ist aber nicht richtig gemalt. Oder: soll ich dir mal zeigen, wie man ein Pferd malt? - So dass Julia versteht: das größere Lob bekomme ich, wenn ich einfach nichts darstelle. Wenn ich selbst aber zufriedener bin mit dem Bild, weil ich etwas "richtiges" gemalt habe, und mich angestrengt habe, dann kommt eher nicht so positives Feedback.
Echtes Selbstbewusstsein wächst anders. Es wächst auf dem Boden der bedingungslosen Liebe. Und auf dem Gefühl, dem Bewusstsein, bedingungslos geliebt zu sein. Nur wenn ich wirklich sicher bin, dass ich geliebt bin, dann kann ich Malen so wie ich es für richtig halte. Nur wenn ich ein ehrliches Feedback bekomme - und aushalten kann, weil es nämlich nur einen Bezug zu dem hat, was ich gemalt habe und nicht zu der Frage ob ich geliebt werde, dann kann ich mich in jeder Richtung frei und gut entfalten.
Davon wie das geht, handelt das Buch von dem wunderbaren Buch "Liebe und Eigenständigkeit. Die Kunst bedingungsloser Elternschaft jenseits von Belohnung und Bestrafung" von Alfie Kohn
Das Thema ist einfach so allgegenwärtig und gleichzeitig unglaublich wichtig. Es geht um bedingungslose Liebe. - Und ob die genügt. - Kohn sagt "nein", sie genügt auf gar keinen Fall. Denn das Kind spürt sie nicht. Jedenfalls nicht einfach so. Aber erst mal langsam: Schritt für Schritt:
Also, was wünscht ihr euch für euer Kind? Wie soll es einmal werden? Die meisten, die ich das frage sagen: glücklich, selbstbewusst, empathisch, respektvoll. Nur die Reihenfolge variiert. Und wie weit seid ihr gekommen auf dem Weg zu glücklichen, selbstbewussten, empathischen und respektvollen Kindern? Die meisten sind da eigentlich ganz zufrieden. Kritisch ist nur die Sache mit dem Respekt. Was verstehen wir denn unter Respekt? Heißt ein respektvoller Umgang nicht, die Wünsche des anderen als genauso wichtig und ernstzunehmend anzusehen, wie die eigenen - auch oder gerade dann, wenn es eben nicht die eigenen sind?
Wie lernt ein Kind Respekt?
Genau: Und Kinder lernen durch das Beispiel der Eltern. Wer respektvolle Kinder möchte, muss seinen Kindern Respekt vorleben. Zugegeben: eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Soll ich also respektieren, wenn mein Kind kein Brot isst, das falsch herum durchgeschnitten ist? Soll ich respektieren, wenn mein Kind ewig braucht um sich die Schuhe anzuziehen und dann, wenn es endlich fertig ist, ich schon auf heißen Kohle sitze - bzw. nervös auf und ab laufe - beschließt, doch andere Schuhe anzuziehen? Auch wenn mein Anliegen (wenigstens zu einer noch halbwegs akzeptablen Zeit im Büro aufzuschlagen) dabei überhaupt keine Berücksichtigung findet, obwohl es doch auch irgendwie wichtig ist?
Und ich muss leider sagen: ja, selbstverständlich. (Aber die Wünsche zu respektieren, heißt nicht automatisch, dass sie auch berücksichtigt werden können).
Also ich habe hier auch keine einfache Lösung dafür, wie genau man selbst so eine innere Ruhe bekommt, dass man das schafft. Aber klar ist, dass es gut wäre. Und für mich ist auch klar, dass eine nicht unerhebliche Schwierigkeit dabei, dieses Ziel zu erreichen auch diese öffentliche Stimme ist, die immer sagt: "Lass dir nicht auf der Nase herum tanzen.", "Er oder sie lernt das so nie.", "Der wird nie lernen, sich anzupassen.", "Du musst doch ... In ihrem eigenen Interesse solltest du..."
Die Sache mit der bedingungslosen Liebe
Also warum sollten wir? Und vor allem: wie sollten wir das bewerkstelligen? Wie sollen wir unser Kind also dazu bringen, schnell zu sein, wenn es uns wichtig ist, zu essen, was wir liebevoll zubereitet haben. Und vor allem Tischmanieren. Das ist die Frage, die sich viele nun stellen. Etwas überspitzt gesagt beginnt die Suche nach Mitteln und Wegen, unser Kind so zu manipulieren, dass es das tut, was ich möchte, ohne dass ich laut werden muss.
Sehen wir mal von Strafen ab, dann bietet sich belohnen an, am besten durch Lob, wenn das Kind etwas richtig macht. Verstärken des erwünschten Verhaltens eben.
Jetzt aber kommt die Sache mit der bedingungslosen Liebe ins Spiel. Die nicht heißt, finde alles gut und lass alles durchgehen. Die nur heißt: Sieh dein Kind als Mensch an, der von Anfang an eigene Wünsche und Ziele hat, die genausoviel (nicht mehr) Respekt verdienen, wie deine eigenen.
Erziehung ist nämlich nicht Konditionierung. Die funktioniert nur bei Tieren. Menschen sind zu klug dafür. Auch kleine schon. Natürlich können sie lernen "Bitte" und "Danke" zu sagen, wenn sie sonst nichts bekommen. Aber sie werden aufhören es zu tun, sobald diese Drohung wegfällt. Weil es dann keinen Sinn mehr macht.
Sein Kind wie eine weiße Maus konditionieren zu wollen, ist an sich schon ein respektloses Unterfangen. Es gefährdet die Beziehung. Es macht nicht glücklich. Und es ist nicht einmal mittelfristig erfolgreich.
So lobst du richtig
Was hat das ganze jetzt mit der bedingungslosen Liebe zu tun? - Die meisten Eltern würden sicher sofort sagen, dass sie ihre Kinder selbstverständlich bedingungslos lieben. Studien zeigen jedoch, dass die meisten Kinder nicht das Gefühl haben bedingungslos geliebt worden zu sein. Woher diese Diskrepanz? Wir strafen doch nicht mehr mit Liebesentzug und drohen doch nicht einmal mehr damit. Nein, die meisten von uns "arbeiten" mit positiver Verstärkung: sie loben das gute Verhalten, das sie sich für ihr Kind wünschen, das tolle Bild, das sie gemalt haben, das Teilen mit anderen, das Bitte und Danke sagen oder die guten Tischmanieren. Leider haben, so zeigen diese Studien, kommt das bei den Kindern nicht so an: Positive Verstärkung macht sozusagen süchtig. Bleibt sie aus, so heißt das für das Kind (und genau genommen ist es ja auch genau so gemeint) - so bekommst du kein Lob. Und das ist nur die Kehrseite der Medaille. Es ist dasselbe nur etwas anders verkleidet. Tatsächlich kam der Begriff der positiven Verstärkung zum ersten Mal auf, als man festgestellt hat, dass Mäuse sich nicht nur durch Stromschläge dressieren lassen sondern auch durch positive Verstärkung. Eine Methode, die heute auch in der Tierdressur Gang und Gäbe ist. Kein Wunder, funktioniert sie doch genauso, tut aber nicht so weh. Aber das heißt nicht, dass du alles, was dein Kind produziert oder was es schafft, kommentarlos hinnehmen sollst. Es gibt sozusagen einen Weg, wie du richtig lobst: Sag, was du siehst und was dir daran gefällt. Oder frag nach. Ich sehe du hast den Himmel rot gemalt. Das ist ungewöhnlich. Warum hast du gerade Rot genommen. Oder: Du bist heute zum ersten Mal allein in der Kita Gruppe geblieben ohne zu weinen. Wie hast du das geschafft?
Die Krux mit den klugen Kindern
Für unsere viel klügeren Kinder, die die Eltern viel besser durchschauen, als sie glauben, heißt das, offensichtlich haben sie mich nicht so lieb, wenn ich das nicht tue. Und dann tun sie es. Oder eben nicht. Meiner Meinung nach sollte man froh sein, wenn das Kind nicht auf dieser Ebene kooperiert, heißt es doch, dass sie sich so geliebt fühlen, dass sie das nicht mitmachen müssen. Heißt es doch, dass sie sich nicht verführen lassen. - Und was heißt es für uns? Wir müssen da durch: Kindern leuchtet so manches nicht ein, was wir von ihnen wollen. Und das ist ihr gutes Recht. Bietet uns eine Chance auch manches noch einmal neu zu überdenken - uns an unser eigenes inneres Kind zu erinnern und mit ihm zu solidarisieren.
Das heißt aber nicht, dass wir unsere Kinder nicht an der Hand nehmen sollten, wenn wir über die Straße gehen - auch wenn sie protestieren. Das heißt nicht, dass wir sie Laufrad fahren lassen, auch wenn sie noch nicht bremsen können - auch wenn sie lautstark protestieren. Das heißt nicht, dass wir sie Dinge zerstören lassen müssen, die wir warum auch immer mögen. - Und all das können Kinder verstehen. Und ich gestehe hier: auch ich protestiere manchmal laut oder leise fluchend und (meist nur) innerlich unter Tränen, wenn ich Dinge tun muss, die ich hasse, die aber notwendig sind. Lasst sie protestieren, das ist nicht schlimm. Das ist auch kein Trotz und keine Phase - das ist menschlich.